Die Gauchos sind in der Stadt

 

Ab an die Olma! Der Tipp von Fritz und Sonja war goldrichtig. «Am Montag müsst ihr an die Criolla del Prado. Dann sind die Gauchos in der Stadt. A Gaudi is das.»

Gegen Mittag drängte sich noch nicht sehr viel Volk auf dem weitläufigen Gelände. Aber es roch nach Pferden, nach gebratenem Fleisch und nach Frittieröl. In den kleineren und grösseren Hallen zeigten Landfrauen ihre Werke. Gestricktes und Gebackenes. Eingemachtes, Gesottenes, Vergorenes. Dazu lächelten sie, saugten an ihren Mate-Röhrchen, strickten und schwatzten.

Unzählige Stände mit Süssigkeiten gibts. Stände mit Spielen, mit kleineren und grösseren Ballonen, mit farbigem Plastikzeug. Grillstände hats, Wurst- und Hamburgerbuden. Glacé gibts und Getränke. Musik plärrt aus Lautsprechern, Kinder lachen, Väter und Mütter schieben stolz ihre Wagen mit Babys übers Gelände. Eine friedliche, erwartungsfrohe Stimmung. Ein Volksfest. OLMA halt.

Auf den fünf Stahlrohrtribünen machen es sich die Ross&Reiter-Fans bequem. Warten auf den Start zum Rodeo. Jeweils zwei Reiter führen ein junges Pferd in die Arena. Dort nehmen drei Männer das Tier in Empfang und binden es an einem der drei mächtigen, weissen Pfähle fest. Das geschieht nicht ohne Aufregung und für den einen oder andere Tierschützer läge da wohl einiges im Argen. Seggswieswell!

Wir geniessen die Show, die ein Wettkampf ist. Der Reiter muss sich acht Sekunden auf dem Tier halten, ohne es, ohne sich oder seine Ausrüstung mit der freien Hand zu berühren. In diesen acht Sekunden bewerten zwei Preisrichter Reitstil und Schwierigkeitsgrad. Die Idee zum Rodeo stammt übrigens aus Brasilien.

Sind die Pferde einmal angebunden und je nach Durchgang mit Sattel, mit Tuch oder eben mit gar nichts bereit gemacht, schwingt sich ein beherzter Gaucho hinauf. Wartet auf das Läuten der Glocke und dann … gling, gling, gling … prescht das Pferd los. Prescht? Nein, es bäumt sich auf, versucht den Reiter abzuwerfen. Es bockt, zuckt, juckt. Springt mit allen Vieren in die Luft. Landet, springt wieder hoch. Windet sich, krümmt den Körper, macht einige Sätze und hastige Schritte. Versucht alles, den lästigen Gegenstand auf dem Rücken loszuwerden.

Und der Gegenstand? Ist eben kein Gegenstand. Es ist ein Gaucho. Ein kräftiger Mann. Mit starken Oberarmen, muskulösen Beinen. Ein Muskelpaket, ein Arbeiter, ein Fachmann, ein mutiger Kerl. Einer der was versteht von seinem Metier. Er hält sich fest mit einer Hand. Arbeitet mit den Beinen, klammert, verlagert blitzschnell das Gewicht, fuchtelt mit der freien Hand in der Luft rum und versucht mit allen Mitteln oben zu bleiben.

Und da gibt es Geschickte und weniger Erfolgreiche. Die einen landen mehr oder weniger schnell auf dem pickelharten, staubtrockenen, einst grünen Rasen der Arena. Manchmal mit dem einen Bein unter dem Pferd oder halb begraben vom stürzenden Ross. Dann ruft der Speaker-Singer nach der 1727. Das ist die Ambulanz. Flugs fährt sie auf dem Platz und der Verletzte wird unter grossem Applaus verabschiedet.

Die Glücksritter, also die anderen, die Erfolgreichen werden von zwei reitenden Kollegen, nach dem erneuten … gling, gling, gling … in die Zange genommen und husch-husch aus dem Sattel gehoben, in «Sicherheit» gebracht. War der Ritt besonders gut, schwingt sich der Reiter ein (gezähmtes) Pferd, erhält vom «Glögglima» eine Fahne und darf unter tosendem Applaus der Fans eine Arenarunde drehen. Das Pferd galoppiert, der Gaucho strahlt, hält eine, hält zwei oder gar drei Fahnen in der Hand. Sicher die Flagge Uruguays. Dann aber auch die argentinische oder die brasilianische Standarte. Je nach Heimatland oder so.

Im Fall: So ein Rodeo ist keine stille Veranstaltung. Nein. Es ist laut, sehr laut. Neben dem Sprecher der permanent quasselt, mischt sich eine zweite Stimme ein. Eine Art Sprechgesang. Der Sänger-Schwatzer klopft äusserst spontan Sprüche, flicht Werbungspots ein und bringt die Leute zum Lachen. Das ganze geschieht in einem rasenden Stakkato. Dazu spielt ein Dritter Gitarre, dass meinen Ohren fast schwindlig wird. Der Wort- und Musikbrei bricht nicht ab. Auch nicht in den drei halbstündigen Pausen zwischen 14 und 18 Uhr.

In diesen Sprechgesang, ins Gemurmel, Gejohle der Zuschauerinnen, der Zuschauer auf den Holzplanken der Stahlrohrtribünen mischen sich die Rufe der Glacéverkäufer, der Churrosanbieter, der PopCornDealer. Sie heischen um Aufmerksamkeit, wollen Geschäfte machen. Nur beeindruckt das niemanden. Kinder und Erwachsene geniessen das Spektakel. Wenige rauchen, viele nuckeln an ihren Materöhrchen.

Und dann erfahre ich tags darauf, dass Ex-Präsident José Pepe Mujica die 90. Criolla del Prado mit Ehefrau Lucía Topolansky ebenfalls besucht hat. Mist. Ich Dösel merkte es nicht.

 

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